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Du 856 | Mai 2015

Hans Josephsohn

 
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ISBN:
978-3-905931-52-5
Preis:
CHF 20.- / EUR 15.-
Status:
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Stephan Kunz
Josephsohn von A bis Z. Ein Fragment
24 Stichworte in alphabetischer Reihenfolge von «Atelier» bis «Zeichnung» als Einführung in Leben und Werk von Hans Josephsohn. 

Paul Nizon
Hans Josephsohn aus: Swiss made – Portraits, Hommages, Curricula
Im Jahr 1971 schrieb Paul Nizon einen kleinen, aber sprachmächtigen Text über die «existenzielle Richtigkeit» des Werks von Hans Josephsohn.

Hans Josephsohn im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist
«Herr Josephsohn, denken Sie bei Ihrer Arbeit an den Betrachter?»
Im Interview mit Hans-Ulrich Obrist erzählt Josephsohn von den Schlüsselerfahrungen seines Lebens.

Clare Lilley
Die direkte Botschaft aus 25 000 Jahren Menschsein
Im Skulpturenpark von Yorkshire waren 2013 zwanzig Arbeiten von Josephsohn ausgestellt. In ihrer archaischen Präsenz unter freiem Himmel strahlten sie eine Seelenverwandtschaft mit Figuren aus frühhistorischen Epochen aus.

Ulrich Meinherz im Gespräch mit Oliver Prange
«Man muss sich darauf einlassen»
Seit seiner Studienzeit verbrachte Ulrich Meinherz – inzwischen Leiter des Kesselhauses in St. Gallen – viel Zeit bei Hans Josephsohn im Atelier und lernte von ihm eine Menge über das Sehen von Skulpturen.

Peter Märkli im Gespräch mit Oliver Prange
«Ich klopfte einfach an die Tür seines Ateliers»
Anfang der Neunzigerjahre baute der Zürcher Architekt Peter Märkli im Tessin einen der radikalsten Museumsbauten der Schweiz als Heimatort für die Skulpturen von Hans Josephsohn.

From memory
22 Stimmen zu Hans Josephsohn und seinem Werk.

Felix Lehner im Gespräch mit Oliver Prange
«Als er das Kesselhaus und die Wirkung seiner Arbeit darin sah, war er sofort dabei»
1986 unternahm der junge Buchhändler Felix Lehner die ersten Gussversuche in seiner selbst gebauten Werkstatt. Inzwischen ist die Kunstgiesserei St. Gallen Teil des einzigartigen Sitterwerks mit Bibliothek, Werkstoffarchiv, Atelierhaus und dem Kesselhaus Josephsohn.

  Du 856 | Mai 2015 | Hans Josephsohn

Hans Josephsohn

Das Schauen ist das Wichtigste 

Hans Josephsohn (1920–2012) war ein ruhiger und konzentrierter Mensch. Er verbrachte den grössten Teil seiner Zeit im Atelier und galt als zurückhaltend. Während seines ganzen Künstlerlebens lag sein Inter­esse bei der menschlichen Figur, ihrem Körper, ihrer plastischen Erscheinung. Umgeben von Dutzenden von Gipsfiguren in seinem Atelier, kletterte er noch im hohen Alter auf wackelige Holzkisten, um an seinen grossen Halbfiguren zu arbeiten, kletterte wieder runter, betrachtete sie aus der Distanz, fügte hier etwas an, nahm dort etwas weg.
Der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon schrieb 1971 über ihn: «Diese Gestalten, Büsten und Köpfe scheinen mir wie von einem Künstler geschaffen, der vor der leibhaftigen Erscheinung des Gegenübers – gewissermassen die Augen schliessend – sagen könnte: ‹Jetzt erinnere ich mich (deiner).› Sie sind, vor dem Modell, wie aus Erinnerung erbaut. Sie kehren aus seelischem Stoff in die Physis zurück.»
Josephsohn wäre diesen Mai 95 Jahre alt geworden. Durch seine Art prägte er viele Menschen, die ihn im Atelier besuchten und sich für seine Arbeit interessierten, mit ihm über Gott und die Welt redeten. Felix Lehner war als 17-Jähriger so getroffen von der Heftigkeit und der Radikalität eines Films von Jürg Hassler über den Künstler, dass er ihn unbedingt kennenlernen wollte. Er freundete sich mit ihm an, begann eine Kunstgiesserei aufzubauen und goss später seine Werke. Lehner wurde mit seiner Kunstgiesserei in St. Gallen weltbekannt und realisiert heute Skulpturen für Fischli/Weiss, Urs Fischer, Katharina Fritsch, Pierre Huyghe, Xu Zhen und Zeng Fanzhi. Mit der Stiftung Sitterwerk betreibt er zwanzig Meter neben dem Schmelzofen eine Kunstbibliothek als Forschungsort, ein Werkstoffarchiv, ein Atelierhaus für Gastkünstler und mit dem Kessel­haus Josephsohn einen musealen Ausstellungsraum, eine Galerie und ein Lager für die Werke des Bildhauers.
Auch Ulrich Meinherz, Leiter des Kesselhauses Josephsohn und der Galerie, lernte Josephsohn als junger Mann in dessen Atelier kennen. Ihn faszinierte die Konsequenz, mit der dieser Künstler über Jahrzehnte an denselben Themen arbeitete. «Seine Arbeit ist nicht sofort zugänglich, man muss sich darauf einlassen, das braucht Zeit. Tatsächlich ist seine Kunst auf einer rein intellektuellen Ebene kaum erfassbar – wahrscheinlich weil sie nicht konzeptionell gedacht ist, sondern ganz unmittelbar von der Anschauung lebt», sagt Meinherz. 
Hans Josephsohn sagte oft, Schauen sei das Wichtigste. Der Architekt Peter Märkli besuchte ihn während seiner Studienzeit häufig im Atelier und pflegte eine lebenslange Freundschaft mit ihm. Anfang der Neunzigerjahre baute er für ihn das preisgekrönte Museum La Congiunta in Giornico in der Leventina. Er entwarf einen Bau, der nicht die üblichen Bedingungen eines Museums hat. Es verfügt nur über minimale Infrastruktur, nicht einmal elektrisches Licht ist vorhanden. Das Tageslicht genügt. Die Reliefs und Halbfiguren können hier in grosser Intensität erlebt werden. 
Auch viele Künstlerinnen und Fotografen waren über all die Jahre angezogen vom Werk Josephsohns. Die Künstlerin Katalin Deér, die seit 2003 im Sittertal lebt und in unmittelbarer Nähe zum Kesselhaus ihr Atelier hat, hat seither Josephsohns Arbeiten und seine Ausstellungen mit ihrer Kamera beobachtet, nicht als Fotografin, nicht im Auftrag, sondern aus eigenem, künstlerischem Interesse an der Skulptur im Raum, im Licht des Moments. 
Josephsohns Plastiken in der fotografischen Abbildung sichtbar zu machen, bewegt seit den Fünfzigerjahren Künstlerinnen, Foto­grafen und Filmemacher wie Jürg Hassler, Simone Kappeler, Willy Spiller, Matthias Kälin, Laurin Merz und andere. Aus der Fülle von Bildern und Sequenzen konnten wir für dieses Heft schöpfen. 
Der Journalist Gerhard Mack veröffentlichte 2005 die Mono­grafie zu Josephsohn. «Ich habe niemanden mehr kennengelernt, der so klar, mit solch intuitiver Sicherheit über Skulptur urteilte. Er schätzte und verstand, was rings um ihn geschah, und bewahrte sich stets den Blick für die Differenz», sagt Mack. Und Galerist Iwan Wirth: «Heute ist Josephsohn ein archaischer Brückenkopf im Programm der Galerie. Es ist keine Überraschung, dass unter seinen vielen Sammlern und Verehrern sich gerade viele Künstler befinden.»
Mit Alberto Giacometti vergleicht man ihn nicht wegen formaler Ähnlichkeiten, sondern wegen seiner Beharrlichkeit und seines Insistierens auf der Notwendigkeit, nach dem zeitgemässen Bild vom Menschen zu suchen. Stephan Kunz, Direktor des Bündner Kunstmuseums in Chur, schreibt: «Heute stellen wir fest, dass er mit seinen Arbeiten ebenso in der Zeit wie ausserhalb der Zeit stand.»